Damenbesuch in Wiesbaden – leider mit tödlichem Ausgang

Der Besuch des Theaters ist ähnlich wie die Teilnahme am Straßenverkehr mit gewissen Risiken verbunden. Allzu oft fühlt man sich von dem, was einem das moderne Regietheater anbietet, überrollt, insbesondere wenn man glaubte, das zu kennen, was dem Regisseur leichtfertig anvertraut worden ist. So werden Schauspieler, die dem Publikum den Eindruck der Schutzlosigkeit oder Verletzlichkeit vermitteln sollen, gelegentlich textilfrei auf die Bühne gestellt oder müssen an Stellen brunftige Laute ausstoßen, an denen man sich, wie vom Autor ursprünglich vorgesehen, eigentlich nur etwas Text gewünscht hätte – ganz anders am Premierenabend der Theater-AG in der Aula der Elly-Heuss-Schule.

 

Ohne Effekthascherei, aber an den richtigen Stellen effektvoll zog die mit Fingerspitzengefühl vorgenommene Bearbeitung von Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ das Publikum von der ersten Szene an in ihren Bann. Weil dem Eingreifen in Dürrenmatts Text das Begreifen vorausgegangen war, blieb dem Zuschauer das Gefühl erspart, dass sich hier jemand vergriffen haben könnte. Obwohl von den 33 Figuren der Vorlage auf etwa die Hälfte verzichtet werden musste, wurde der Kern des Stücks nicht verletzt – ganz im Gegenteil: Die Auseinandersetzung mit der Korrumpierbarkeit des Menschen stand stets im Fokus und Tragisches wechselte sich auf unheimliche Weise mit Komischem ab, bis beides schließlich kaum noch entflochten werden konnte. Nach eineinhalb Stunden kurzweiliger und intelligenter Szenenfolge blieb dem Publikum nichts anderes übrig, als das Dargebotene mit lang anhaltendem Applaus zu entlohnen.

 

Begonnen hatte alles ein dreiviertel Jahr zuvor, als die beiden Kolleginnen Katrin Fischer und Miriam Hartmann den längst überfälligen Entschluss fassten, das wieder ins Leben zu rufen, was an einem Ort, der nicht nur Ausbildungsstätte, sondern auch Bildungseinrichtung sein sollte, nie hätte eingestellt werden dürfen: eine Theater-AG.

Schnell fand sich eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern, die bereit war, nicht nur jeden Freitagnachmittag, sondern auch das ein oder andere Wochenende mit anstrengender, aber auch beglückender Probenarbeit zu füllen. So wuchs mit der Zeit ein Ensemble zusammen, das zuvor in der Mehrzahl noch nie im Planquadrat gestanden hatte. Umso erstaunlicher und bewundernswerter ist es, dass die jungen Mimen an besagtem Abend das gewesen sind, was sie ursprünglich nur zu spielen gedachten. Bravo - bitte mehr davon!

pz

 

Kurzer Nachtrag: Wer wissen möchte, wer hier eigentlich und warum überhaupt zu Tode gekommen ist, dem sei Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ ans Herz gelegt.

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